Rauhnächte

Wenn ein Kobold ratscht mit seiner Säge
An dem Stamm vom Weltenbaum,
Dann wird ein Mensch, der mit der Zeit geht, träge
Und herab auf ihn fällt Traum um Traum.
Wer seine Botschaft schleppt in sein Gehege,
Der kann in die Zukunft schaun.

So sagt uns an, Schamanen,
Was brachten die Rauhnächte?
Das Gute, das wir ahnen,
Oder doch das Schlechte?

Nun, die erste Nacht steht für den Januar:
Ich sah ne wunderschöne Kaisersemmel,
Die fein tief in Mohn getunkt war.
Leider fiel sie der Verkäuferin zu Füßen
Und hinüber war das eine Exemplar.

Für den Februar ein runder Tisch aus Glas,
Darauf ein Häufchen weißer Zucker,
Den ich ohne Glücksgefühle aß.
Allein, um diesen Tisch herum zu rennen,
Fand ich scheiße lustig, machte Spaß.

Mitte März ging Porzellan entzwei,
Doch ich behielt den halben Cappucino.
Heinrich bracht mich in den Laden rein,
Ne fremde Frau vertilgte meine Torte,
Doch kein Vorwurf: Ich lud sie dazu ein.

Sagt weiter an, Schamanen,
Was brachten die Rauhnächte?
Gewiß wollt ihr uns warnen
Vor dem anderen Geschlecht.

Im April verbleiben mir Pommes frites,
Zum Mund geführt mit einer Dreizackgabel.
Hungrig auf der Bank sitzt wer, isst mit
Im Geiste nur und hinter nem "Nein, danke".
Seine Finsternis verfolgt mich Tritt auf Schritt.

Rittlings auf dem Stuhl grüß ich den Mai.
Das Weinglas vor mir muss ich balancieren.
Mit dem Mantra "Es fällt" ruf ich mich selbst herbei.
Gemächlich seh ich mich hinzu bequemen
Und zugleich vom Glas, doch nicht vom Durst befreit.

Oh, die Juno reicht mir einen Quirl.
Ich tus ihr nach, beginn den Teig zu quirlen.
Überschwänglich, sie blickt echauffiert.
Meine Mercedes geht auf in Nebel,
Futsch das Trinkgeld, zu früh gratuliert.

Sagt richtig an, Schamanen,
Was brachten die Rauhnächte?
Serviert uns doch Fasane
Und nicht dunkle Spechte!

Schon im Juli wird neu tapeziert.
Der Eingangstür bleibt nur der leere Rahmen.
Zögernd einzutreten steh ich an der Schwelle hier.
Ich weiß ich will vom Leben noch was haben.
Drinnen ist der Boden frisch gewischt, weshalb ich mich 
genier.

Der August bringt hohes Pik und Gulasch satt.
Für Sternenbilder geh ich über Leichen.
Wer was gegen meine guten Karten hat,
Dem sei der Ring aus Licht ein Himmelszeichen -
Meine Mutter lächelt dazu müd und matt.

Im September bin ich selber aufgewacht
Von Mutters Sorgen ne Etage drüber.
Hau den Besen an die Decke: Gute Nacht!
Doch steht die Tür bei mir parterre offen.
Also ging ich hin und hab sie zugemacht.

Sagt schließlich an, Halunken.
Was brachten die Rauhnächte?
Wart ihr stockbetrunken,
Erbrecht uns das Durchzechte?

Wartet, der Oktober brachte einen Trunk.
Hieß Lethe, ließ mich meinen Traum vergessen.

Halts Maul wie Deine Brüder!
Wir geben Euch Rauhnächte!
Prasseln auf Euch nieder
Von Nikolaus' sein Knecht.

Verschont mich!
Im November schlug dem Barden seine Stund:
Sein nölender Gesang verstummte.
Im Dezember werden wir gesund!

So überlebte ein Schamane
Im Nachgang der Rauhnächte.
Die Nachwelt hieß ihn Scharlatan,
Die Abgeschlachteten Gerechte.

30.1.21
A.R.