Hangover Hannover

Morgens, früh um 10
Kam ich mit der Bahn
In Hannover zum Stehn.
Am Amtsgericht, Ernst-August-Platz,
Genauer: Am Treppenabsatz,
Hab ich bißchen Zeit vertan.

Kippe, Dose Bier,
Wie so'n Vagabund,
Für Hannover keine Zier,
Besah ich eine Tafel mir:
Es gibt kein Sondergericht mehr hier,
Bitten um Entschuldigung.
(Für ehedem - da macht ichs mir bequem)

Ich fands amüsant.
Hier gabs viel Verkehr
Von Parteien und Amt.
Die Einen schauten verloren,
Die Andern zum Dienst geboren,
Lauferei, hin und her.

Dann zog ne Frau vorüber, die schob
Nen Einkaufswagen vor sich her.
Den hatte sie mit Blumen verziert,
Weil sie sich, so dachte ich,
Fürs Flaschensammeln geniert.
Da mocht ich weitere Betrachtungen nicht mehr.

Mittags, gegen 2
Mußt es auf retour
Wiederum Hannover sein.
Café Bredero, Treppenfuß,
Verging mir sogleich die Lust
Bei dem Anblick einer Hur.

Sie war schmerzhaft jung.
Mitleid warf mein Blick
In ihre Einladung,
Die ich aus der Mimik las,
Bevor sie geschäftig hinter Glas
Ging, und sie kam zurück - 

Mit ner Art von Alibi
Bürgerlichen Seins
Sagt sie, sie sei nicht von hie,
Sie sucht ne Stelle inner Kanzlei,
Ob ich wohl wüßt wo eine sei.
Von den Worten glaubt ich keins.

Als sie mich so sieht,
Grausam unbeirrt,
Staun ich doch, wie mir geschieht.
Sie sagt, dass ich ein Penner bin
Und Fick doch die Frau Mutterin!
Nach Ficken steht mir nicht der Sinn
Sagt ich darauf leicht verwirrt.

Nun geb ich ihr und mir zum Trost
Dies Brevier in ihren Schoß,
Nachdem ich diese Stadt verließ,
Die ihre schönsten Briefe
Von jeher gar nie liest.

A.R.
28.9.22