In Biermannlaune

Oktober zwoundzwanzig, Tag drei,
Wir futtern mal wieder den Einheitsbrei.
Zwischen hier und drüben
Wird nicht unterschieden.
Wer stand auf der falschen Seite?
Nein, niemand hat gestanden.
Die kleinen Fische, die Granden,
Vereint in Furcht vor Pleite,
Die dürfen sich heut anstellen
Am lauwarmen Buffet der Intellektuellen:
Die brutzeln aus Scheiße Frikadellen.

Doch ich bin heut in Biermannlaune.
Ich mein den Wolf, den bösen.
Ich brech heut was vom Zaune,
Ich will die Schäflein vom Fleisch erlösen.

Mit dem Karolinchen fang ich an,
Ihr gebührt der erste Rang.
Die hat sich nie zu mir bekannt
Und wirds auch niemals tun.
Die bleibt hübsch in ihren Kinderschuhn,
So zierlich - und ehrlich:
Das macht sie mir ja so begehrlich.
Eher würd sich ne verschmähte Henne
Noch zu mir bekennen.
Doch sachte: sie kann rennen.

Ja so was macht die Biermannlaune.
Ich mein den Wolf, den bösen.
Der schmeckte heut Alraune
Und wildert in den Diözesen.

Mit der Kupferdreher fang ich an.
Der Pfaff hier hat sich Gott sei Dank
Nie zu meiner Ketzerei bekannt
Und wirds auch nie bereun:
Der bleibt seiner Kirche treu.
Der mag lieber Kreide fressen
Und liest auch in Paris die Messen.
Bei den Pfründen würd er bleiben,
Christus abschreiben.
Ergo darf ich ihn mir einverleiben.

Das hebt sehr meine Biermannlaune.
Ihr wisst: Vom Wolf, dem bösen.
Der feiert mit den Faunen
Und trinkt sich auserlesen,

Auserlesen fürs Verflucht! Verflucht!
Was soll der arme Teufel tun,
Wenn sein böser Geist ihn heimsucht?
Er ist ja schon verrucht.
Der Wolf ist ein Skorpion,
Nichts und niemand wird verschont,
Eingeschlossen die eigene Person.

Wer wird den Wolf, erwischt beim Dösen,
Von seiner Last erlösen?
Wieviel Wackerstein
Geht noch in ihn hinein?
Wie kann sein Magen an solchen Tagen
Das Ungeheuerliche ertragen?
Man höre und man staune:
Sein Magensaft ist Biermannlaune.

A.R.
3.10.22

Hangover Hannover

Morgens, früh um 10
Kam ich mit der Bahn
In Hannover zum Stehn.
Am Amtsgericht, Ernst-August-Platz,
Genauer: Am Treppenabsatz,
Hab ich bißchen Zeit vertan.

Kippe, Dose Bier,
Wie so'n Vagabund,
Für Hannover keine Zier,
Besah ich eine Tafel mir:
Es gibt kein Sondergericht mehr hier,
Bitten um Entschuldigung.
(Für ehedem - da macht ichs mir bequem)

Ich fands amüsant.
Hier gabs viel Verkehr
Von Parteien und Amt.
Die Einen schauten verloren,
Die Andern zum Dienst geboren,
Lauferei, hin und her.

Dann zog ne Frau vorüber, die schob
Nen Einkaufswagen vor sich her.
Den hatte sie mit Blumen verziert,
Weil sie sich, so dachte ich,
Fürs Flaschensammeln geniert.
Da mocht ich weitere Betrachtungen nicht mehr.

Mittags, gegen 2
Mußt es auf retour
Wiederum Hannover sein.
Café Bredero, Treppenfuß,
Verging mir sogleich die Lust
Bei dem Anblick einer Hur.

Sie war schmerzhaft jung.
Mitleid warf mein Blick
In ihre Einladung,
Die ich aus der Mimik las,
Bevor sie geschäftig hinter Glas
Ging, und sie kam zurück - 

Mit ner Art von Alibi
Bürgerlichen Seins
Sagt sie, sie sei nicht von hie,
Sie sucht ne Stelle inner Kanzlei,
Ob ich wohl wüßt wo eine sei.
Von den Worten glaubt ich keins.

Als sie mich so sieht,
Grausam unbeirrt,
Staun ich doch, wie mir geschieht.
Sie sagt, dass ich ein Penner bin
Und Fick doch die Frau Mutterin!
Nach Ficken steht mir nicht der Sinn
Sagt ich darauf leicht verwirrt.

Nun geb ich ihr und mir zum Trost
Dies Brevier in ihren Schoß,
Nachdem ich diese Stadt verließ,
Die ihre schönsten Briefe
Von jeher gar nie liest.

A.R.
28.9.22


Geburtsfehler

Ich wurd am falschen Ort geboren,
Im wiederaufgestellten Westen.
Die Eltern hatten im gefallenen Osten
Ihren Kompass verloren.

Mein Vadder wollt' an nix mehr glauben,
Er hatte der Wehrmacht gedient.
Der Mutter sollt' ich lange frommen
Mit ihrem Keuschheitsspleen.

Ich mümmelte Jahrzehnte
An meiner guten Erziehung.
Ich bracht' sie einfach nicht heraus - 
Und sie mich auch.

Ich hatte zwei falsche Brüder,
Die wenigstens mal sagten,
Dass ich ihnen gar nicht ähnlich wär.
Das fest zu halten war ihnen wichtig -
Wie auch umgekehrt.

Ich bin zur falschen Zeit geboren,
Da machte Biermann längst Theater
Im andern Staat, wo's echt gefährlich war.
Wenn ich mal rebellierte,
War ich kurz mal Star, mal Narr,
In jedem Fall egal.

Ich hab zur falschen Zeit gelitten,
Da hatte ich was ich begehrte,
Was ich nicht kapierte.
Wir Zwei sind herrlich auf und ab geritten,
Trotzdem ich mich nach mehr,
In Wahrheit aber weniger
Verzehrte.

Ja, Ihr Lieben, ich war wohl gelitten,
Ich war gut umsorgt -
Und hätt' so gerne mehr von dem gekriegt,
Was einen Menschen
So gründlich verkorkst.

A.R.
12.09.22

Die Zeiten die sind sich am Ändern

 
 Kommt her mal Leute
 Wo immer Ihr stromt
 Und gebt zu dass die Flut
 Euch näher kommt
 Und murrt nicht Euer Anzug
 Bleibt nicht verschont
 Da gilts keine Zeit drauf verwenden
 Wer jetzt nicht loslegt und schwimmt
 Der versinkt prompt
 Denn die Zeiten die sind sich am Ändern.
  
 Kommt Stückeschreiber
 Die mit nem Stift prophezein
 Reißt mal die Augen auf
 Einmalige Gelegenheit
 Plappert nicht gleich los
 Gebt dem Rad zum Drehn Zeit
 Wens erkiest weiß nicht Wahrsagerei
 Gewinner sind Verlierer von einst
 Denn die Zeiten die sind sich am Ändern.
  
 Kommt Bonzen, Genossen
 Hört aufs Geläut
 Steht nicht rum im Foyer
 Den Eingang den räumt
 Wens trifft das ist der
 Sich nicht zeitig zerstreut
 Krieg tobt im Bund, in Ländern
 Es gibt Fensterstürze Umsturz dräut
 Denn die Zeiten die sind sich am Ändern.
  
 Kommt Mütter und Väter
 Quer durch das Land
 Lasst das Mäkeln
 Es fehlt Euch an Verstand
 Die Söhne, die Töchter,
 Gebt sie aus der Hand
 Eu’r Pfad ist nur zum Schlendern
 Die neuen Straßen sind aus Diamant
 Denn die Zeiten die sind sich am Ändern.
  
 Der Fluch ist geschleudert
 Das Buch gebunden
 Der Lahme wird den 
 Renner überrunden
 Der Zeitgenosse ist schon
 Bald verschwunden
 Da sind neue Zeitenwender
 Das Verlorene wird endlich gefunden
 Denn die Zeiten die sind sich am Ändern.
  
 A.R. 

Gedanken, die hinterrücks verwunden

Mein Vater, jung und blond,
War einfacher Soldat
Im Zweiten Großen Krieg,
Der stattgefunden hat.
Er ließ ein Auge an der Front,
Dann lief er weg
Hinein in einen Steckschuss
Für sein Schulterblatt.
Den Rest vom Dreck
Verbrachte er im Lazarett.

Sein Sohn, schon recht betagt,
Verfehlte seine Zeit,
Verschlief die Pandemie
In purer Müßigkeit,
Zu alt, um alarmiert zu sein
Von dem Geschrei,
Fürs 'Ungeimpft' gabs Platzverweis
Und Gängelei:
Die Pandemie
Lässt sieche Leute nurmehr siech.

A.R. 10.6.22