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Spätlese – Aus meiner Feder

Die Kuratorin

Die Ausstellung lief. Der bunte Miró behagte ihrem Temparament. Die Besucher brachten in der Mehrzahl eine gewisse Leichtigkeit mit, die sich im Rahmen eines Museumsbesuchs hielt und der Atmosphäre wohltat. Die Ausstellung befand sich zeitlich in ihrem zweiten Wochenende, die Anspannung der Eröffnungsphase hatte sich gelegt. Da klopfte am frühen Nachmittag des Samstags diese junge Museumswärterin, eine Studentin der Kunstgeschichte, zunächst unbestimmt, schließlich aber entschieden an die Tür der Kuratorin, deren Büro im Kellergewölbe des Museums lag. Auf die Frage, was es denn gebe, brachte die Kunstgeschichtlerin nicht frei von Erregung vor, mit einem Ausstellungsstück, dem <Mann und Frau bei Nacht>, sei etwas nicht richtig. Sie, die Studentin, habe das, nachdem ein Wärter sie hinzugerufen habe, eigentlich gleich gesehen, jedoch, um sich zweifelsfrei Gewissheit zu verschaffen, vorsichtshalber den Ausstellungskatalog zu Rate gezogen, bevor sie zur Frau Kuratorin geschritten sei. Auf der Sitzfläche des schwarzen Stuhls sei ein in Goldpapier eingepackter Osterhase aus Schokolade abgelegt worden, der infolge der frühsommerlichen Hitze und der nicht reibungslos funktionierenden Klimaanlage zu schmilzen drohe.

Die Kuratorin, dessen eingedenk, daß sich auf dem neben dem schwarzen Hocker befindlichen und auf den Kopf gestellten blauen Stuhl vorschriftsmäßig ein weißes Ei in einer Schale befand, meinte nur lakonisch: „Nein, dieser Witzbold“ und gab Anweisung, daß jemand mit Latexhandschuhen den Osterhasen vorsichtig von der Sitzfläche entfernen und in den Keller verbringen solle. In der nächsten halben Stunde sollten im 5-Minutentakt Beobachtungen angestellt werden, ob sich Spuren des Hasen auf dem Kunstwerk abzeichneten. Wenn das der Fall sei oder sich jemand nach dem Verbleib des Hasen erkundige möge man sie herbeirufen und den Menschen gegebenenfalls bis zu ihrem Erscheinen aufhalten.

Bis zum Abend wurde weder das eine noch das andere vermeldet. Eine ihr nicht erklärliche Enttäuschung machte sich im Gemüt der Kuratorin breit. Als sie ihren Arbeitstag beschloß und eine viertel Stunde vor Schließung des Museums im Begriff war das Gebäude zu verlassen traf sie die Kunstgeschichtlerin in dem Saal an, in welchem die Skulptur mit den Stühlen ausgestellt war. Die Kuratorin frug die junge Studentin, ob Fotos von dem Osterhasen geschossen worden seien. Es fand sich, daß die Studentin selbst Bilder gefertigt hatte. Die Kuratorin ließ sich die Fotografien zeigen. Bei der Betrachtung stieg eine leichte Belustigung in ihr auf und sie verwunderte sich ein wenig über den Ernst, mit dem die Museumswärterin den Zwischenfall zu betrachten schien. Sie zog es aber vor diesen Eindruck nicht zu versprachlichen, bedankte sich für den Blick auf die Bilder und wünschte einen angenehmen Feierabend.Der Mann der Kuratorin war für einige Tage verreist. Die einzige noch im elterlichen Haus verbliebene Tochter wollte erstmals die Nacht bei ihrem Freund verbringen. Die Tochter hatte bei der Mutter so lang gebettelt, bis diese schließlich einwilligte. Da der Vater auf Geheiß der Tochter von dem Freund nichts wissen durfte mußte ihm folgerichtig auch die bevorstehende Liebesnacht verheimlicht werden. Die Vorstellung sogleich in ihr verlassenes Zuhause zurück zu kehren war der Kuratorin deutlich unbehaglich. Seit Jahren war es nicht mehr vorgekommen, daß sie allein im Hause übernachtete. Ihr Mann hätte auch, wenn ihm die Umstände bekannt gewesen wären, unter einem Vorwand seine Reisepläne fallen lassen und wäre bei seiner Frau geblieben. In dieser schon mehrere Jahre währenden Handhabung waren sich die Eheleute wortlos einig. Nach einem aufgedeckten Seitensprung der Kuratorin behielt der Herr lieber die Kontrolle. Auch die Ehegattin behielt lieber die Kontrolle – über sich. Ihr aus bürgerlich katholischem Herkommen verinnerlichtes „Es darf nicht und es geht nicht“ hatte schon einmal über eine Zeitspanne, die sie sich absolut nicht erklären konnte, mehr oder weniger ausgesetzt. Da waren ihr äußerliche Hinderungsgründe durchaus recht und sie konnte ihrem Mann in seinem Mißtrauen nur stumm beipflichten. Außerdem war sie das Alleinsein von Haus aus nicht gewohnt.

Die Kuratorin erhoffte sich ob solch störender Gedanken stimmungsmäßige Ablenkung durch einen Bummel im Museumsviertel. Als sie schließlich vor einer Cocktailbar stand, die just in time auf einen Drink zu happy-hour-Preisen einlud, trat sie ein. Ihr eigener Entschluß überraschte sie. Sie war nicht gewohnt eine Bar zu betreten ohne in Begleitung oder verabredet zu sein. Die interessierten Blicke einiger Männer schmeichelten und mißbehagten ihr. Sie bestellte hochprozentig, trank zügig, zahlte ordentlich und ging.

Ihr Weg, den sie nun mit Leichtigkeit ging, führte sie zurück in ihr Museum. Sie holte einen Schlüssel aus seinem Versteck und öffnete einen Schrank. Daraus holte sie ein Ölgemälde hervor. Es war ein Selbstportrait; sie hatte das Bild gemalt, als sie die Affäre lebte. Sie hatte ja Kunst studiert gehabt, aber nie wäre ihr über die Lippen gekommen sich eine Künstlerin zu nennen. Über die Stelle als künstlerische Museumsleiterin in dem angesehenen Museum war sie heilfroh gewesen. Selbst zu malen, gar <i>sich selbst zu malen </i>war ihr lange Jahre nicht in den Sinn gekommen. Nur dieses eine Mal.

Als die Kuratorin das Portrait, auf dem sie selbst sich abgebildet hatte, zur Hand nahm, erkannte sie wie nie zuvor, daß es ihr irrsinnig gelungen war. Es war eine so lebendige Darstellung von sich, so als käme die die Betrachterin aus dem Bild anschauende Betrachtete ihr mit geöffneten Armen entgegen. Sie hatte das Bild noch niemand zu zeigen getraut, nicht einmal ihrem damaligen Freund. Jetzt nahm sie das Bild und stellte es auf jenen Stuhl, auf dem an diesem Tag der Osterhase von einem Unbekannten platziert worden war.

Es ist bloß ein Spiel“ sagte die Kuratorin im Gehen laut zu sich selbst. Ein lange vermisstes Lächeln umspielte ihr Antlitz, während sie bei sich dachte, daß sie das Bild morgen in der Frühe wieder im Schrank einschließen könne, bevor das Museum geöffnet haben werde – oder auch nicht.

A.R.

27.3.17