Burleske von einem dünnen Mann

Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
Eine Sensation fürs Publikum
Geschieht, Plakate schwör`n.

Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
Eine Sensation fürs Publikum;
Doch ich bin der Dompteur.

Eine Probe hat es nie gegeben,
Der Direktor hat nur ein Kamel.
Eine Probe hat es nie gegeben,
Der Direktor hat nur ein Kamel.
Vom Direktor, den ich nie geseh’n,
Heißt’s, dass er auf mich zählt.

Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
So oder so Sensation fürs Publikum;
Doch mir droht ein Malheur.

Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
Was für eine Zirkusnummer!
Ein Kamel geht durch ein Nadelöhr.
Eine Sensation fürs Publikum:
Habt Ihr je so was gehört?

Einen Viertelemond vor der Premiere,
Sternenklar die klirrend kalte Nacht,
Einen Viertelmond vor der Premiere,
Sternenklar die klirrend kalte Nacht,
Haben ich und das Kamel, na was?
Haben wir uns dünn gemacht!

A.R.
18.11.19

Die Übertretung

Als ich ein Kind war spielte ich Tag für Tag mit den Kameraden vor der Tür. Mama hatte mir gesagt, was noch vor der Tür lag und was jenseits von ihr.

Die Grenze gen Osten war abgesteckt durch eine breite Straße, die war zu gefährlich, die war nicht zu queren. Ein aufgestelltes Kreuz am Straßenrand gemahnte daran. Die Weizen- und die Sonnenblumenfelder dahinter kannte ich nur von den Fahrten mit den Eltern über Land. Von diesseits der Straße waren sie nicht einsehbar; von da, auf Höhe unserer Grundschule Am Haferfeld – das Feld war längst weg – fiel der Blick die Rodenseel herüber zu der verbotenen Seite auf ein Hochhaus.

In dem Hochhaus wohnte der Armin Linde, ein Klassenkamerad. Der war selber für sein Alter hochgewachsen, trug dunkle, schwarze Locken über einer hohen Stirn. Mit seiner näselnden Stimme wusste er von geheimnisvollen Dingen zu sprechen, Angst machend und verlockend. Seine Mutter ging über den Tag arbeiten, die Art, wie er von Vadder sprach war frei von Ehrfurcht.

Armin fiel leicht mich zu überreden, ihn einmal, als die Schule früher als vorgesehen aus war nach Hause zu begleiten. Er hatte einen eigenen Wohnungsschlüssel, hingegen ich schon so manche verzweifelte Zeit vor der Tür verbracht hatte, wenn meine Mutter nicht rechtzeitig von einem Einkauf zurück gekommen war. Armin hatte auch ein eigenes Zimmer und keine Brüder. In seinem Reich angekommen offenbarte Linde mir, die Petra Skreba habe ihm anvertraut, sie wolle mich küssen, auf dem Schulhof, hinter den Aschentonnen, damit niemand es sehe.

Ich war kein Hindernis auf dem Weg, bei den Aschentonnen fand ich mich ein. Eine klare Erinnerung daran, ob ich einen Kuss gab oder empfing habe ich nicht mehr. Der Armin Linde hielt jedenfalls Wache vor den Aschentonnen und selbstverständlich hatte er sich auch schon hinter den Tonnen mit Mädchen vergnügt. Petras Wunsch mich zu küssen wird aus Bewunderung erwachsen sein, denn sie hatte eine Leseschwäche und ich den Lesewettbewerb in der Klasse gewonnen. Mir erging es nämlich mit der Beate Böhler, unserer Klassenbesten, ähnlich, nur dass ich nicht wagte, auch nicht über den Linde, die Böhler zum Stelldichein zu bitten.

Jüngst in einem Traum öffnete ich mit zitternden Händen in einem großen Gebäude ein kleines Fenster auf der Flucht vor einer Gestalt, die mich abknallen wollte. Ich entwich, lief weg und bemerkte vor dem Erwachen, dass ich mich wiederum innerhalb der vorgegebenen Grenzen meiner Kindheit befand, in Richtung auf den Schulhof unterwegs. Offenbar holte ich mir die Erinnerung an die Jahrzehnte alte Übertretung wieder. Heute danke ich dem Mädchen mit der Leseschwäche für ihren gezeigten Mut und für ihre in der Anbahnung entblößte Scheu und Angst, denn Mut und Angst sind Zwillinge, unzertrennlich und im Gleichmaß wachsend. Alles Wesentliche, das geschieht, geschieht durch Überwindung.

A.R.

Die braven Leut‘

Die braven Leute
Geißeln die Verhältnisse
Als zu human in
Hiesigen Gefängnissen.
Sie gäben gern Insassen
Trocken Brot zu essen,
Derweil sie selbst
Mit frischer Luft
Nix anzufangen wissen.

Die braven Leut’
Schaun runter auf die Flaschensammler,
Wohl wissend
dass sich’s nicht gehört
Auf irgendwen herabzusehn.
Der Müll jedoch, den die verwerten,
Bleibt ja doch ihr Eigentum:
Also verbietet sich
Den Fleiß des Sammlers preisen.
Pfand liegt nie so auf der Straße rum,
So warnen die Gelehrten
Wie die Wirtschaftsweisen.

Die braven Leut’
Steh’n stetig auf der guten Seite.
Dort steh’n die meisten Leute.
Dreht und weist ein Mann den Weg
Für Halbgescheite,
Siehst Du bald die braven Leut’
Mit Halbgescheiten geh’n.

Die braven Leute
Schneiden niemals Dir die Vorfahrt ab.
Doch tu nie ihnen das,
Du schaufelst Dir Dein Grab.
Den braven Mann
Nimmt niemand mehr an die Kandare.
Der legt jeden gottverdammten Morgen
Bei sich selbst das Zaumzeug an.
Und die gelebte Wut,
Auf den, der das nicht tut,
Verzeichnet ihn als Menschen.

A.R.

Lamy schreiben wie von selbst

Engel überbrachten frohe Kunde
Mir auf Engelsschwingen.
In nur fünf Sekunden
Könnt ihr diese Werbung überspringen.
Wir sind vom Eigentlichen
Nur noch einen Klick entfernt.
Dahinter öffnet sich
Des Pudels Kern.

Fenster vorn raus, Fenster rücklings,
Herrliche Kulissen.
Tische, Bänke, Stühle,
Gut bestückt mit selbst bestickten Kissen.
Das alles zu beschreiben
Kaufst Du Dir den Lamystift.
Der gibt Dir jedes Wort,
Erstellt die Schrift.

A.R.
13.10.19

Saphiras Tod

Du gibt’s mir einen Teil nur.
Einen anderen behältst Du.
Du gibt’s mir einen Teil nur.
Einen anderen behältst Du.
Nebelhüte verzaubern Deine Gestalt.
Zerrissenheit hat über Dich Gewalt.
Dein Angesicht verstellst Du.

Du gibst Heimlichkeit nicht preis.
Weißt den Weg nicht als Verführte.
Du gibst Heimlichkeit nicht preis.
Weißt den Weg nicht als Verführte.
Füße derer, die den Mann hinaus getragen,
Lebendig in dem Acker begraben haben,
Harren Deiner vor der Türe.

Du gibt’s mir einen Teil nur.
Einen anderen behältst Du.
Du gibt’s mir einen Teil nur.
Einen anderen behältst Du.
Dein schönstes Kleid spaziert vor der Welt.
Dein Hingegebenes ist abgezählt.
Die Heiligen verprellst Du.

Für den Preis von einem wahren Wort
Ließen sie Dich in der Gnade.
Für den Preis von einem wahren Wort
Ließen sie Dich in der Gnade.
Dich packt Furcht um Deinen restlichen Besitz.
Unaufrichtigkeit maskiert Dein Antlitz.
Du lebst und stirbst für die Fassade.

Du gibt’s mir einen Teil nur.
Einen anderen behältst Du.
Du gibt’s mir einen Teil nur.
Einen anderen behältst Du.
Sieh, von Anbeginn war alles sehr gut.
Zurück und übrig bleibt die Wonne der Schwermut.
Gottes Angesicht vergrellst Du.

18.8.19