Sündenbock

Der Priester wirft das Los nicht über ihn in der 
Gemeinde.
Derlei Versammlung wäre nicht gestattet.
Der Ritus tut nicht Not, das Volk kennt seine Feinde,
Da nun Jedermann die Wahl schon hatte.
Der Minister schickte das Edikt von seinem Schreibtisch 
aus.
Die neue Wüste weiß er sind vier Wände.
Dann tritt er vor die Tür in seinen Park hinaus
Zum Märchenbrunnen, eine Quelle ohne Ende.

Das Volk ist aufgewiegelt, glaubt den Sündenbock 
besessen.
Drei Pieks nur, wer will ernstlich die verweigern?
Doch besser Wüste als Altar, das hat das Volk vergessen.
Die Regierung muss die Quote steigern
Derer, die sich opfern, dienstbar sind der Wissenschaft,
Die forscht und gut gings doch bei Mäusen, Ratten,
Zum Wohl der ganzen Menschheit, die stammt ab vom Aff'.
Bis heute wirft der einen langen, langen Schatten.

Nun also weg mit ihm, das Volk verbirgt sich hinter 
Masken.
Der Priester hat sich seines Schmucks entledigt.
Und sauber bleibe sein Gewand, die schönen Quasten
Sind, was übrig blieb, vom Bunde Levis.
Und der Priester jagt den Bock nach Haus für vierzig Tag.
Die neue Wüste weiß er sind vier Wände.
Und wenn er sich danach nicht stechen lassen mag,
Dann kriegt er Quarantäne ohne Ende.

A.R.
17.11.21

Bockheim

Bockheim sagt, er gäb 'nen guten Penner ab
Auf seiner Bank am Ufer Baldeney,
Zu dem sich eine Birke neigt,
Bier zur Rechten und ein Päckchen Tabak,
Die Brille übers Buch gebeugt.

Bockheim sagt, der Westwind verwirrt den Fluß
Und dass die Sonne von gestern nicht bräunt,
Dem Gestern, das er sich erträumt,
Als es Whiskey in der Bar gab für den Musikus,
Der er mal war. Wer ist er heut'?

Bockheim schwärmt vom Meer in Mozambik,
Von seiner Trommlerzeit in Afrika.
Er zehrt von dem, was einmal war.
Blaue Leere liegt in seinem Blick - 
Dahinter Dulcinea.

Bockheim spricht, ein Licht bewahrte ihn vorm Tod,
Wie seine erste Liebe ihn verließ,
Als grad der Zug einfuhr am Gleis.
Bockheim besteht nicht nur aus Bier und Brot,
Dereinst erschien ihm Gott als Geist.

Bockheim sagt, es sei das Wort und nicht die Zahl,
Musik sei Welle und nicht Takt.
Packt's Buch in seinen Rucksack,
Steigt aufs Rad in Richtung Heilig Gral,
Ein Sonderling, ein Schlacks.

A.R.
12.10.21 

Ruth

Meine Tante fand ich hübscher als Mama.
Ich glaube, jeder kennt das.
Beide waren Töchter von dem Opa,
Den ich wenn nur aus Erzählung kenn,
Eines Kolonialwarenhändlers.

Anbrennen ließ sie nix die Tante Ruth.
Sie wußte, was ein Schatz macht,
Schürte in den Jünglingen die Glut.
Aber wurd die Sache ihr zu heiß,
Warf sie sie mal eben in die Katzbach.

Katzbach hieß der Fluß am Ring von Parchwitz.
Den kannte gar der Alte Fritz.
Vor der Schlacht bezog er dort Quartier.
Teil von Preußen oder Österreich:
Den Schlesiern wars herzlich gleich.

Anders wars natürlich, als der Russe kam.
Da türmten sie vor Josip Stalin.
Meine Mutter war erst dreizehn Jahr.
Tochter Ruth verließ Papas Kontor
Mit ner Packung Zyankali.

Ein Glück blieb die Notzucht aus
Wie auch Adolfs Wunderwaffe,
Somit auch der Weg zurück nach Haus.
Omi hat noch lange drauf gehofft,
Bis in Zeiten Adenauers.

Omi kam als eine Reichstein in die Welt.
Das klingt heut gut nach Judenblut.
Deshalb hoffte sie sie sei erwählt.
Die Idee kam Oma Idel nach dem Dritten Reich.
Vorher hieß sie ihre Tochter Ruth.

Nach der Flucht hat Ruth sie alle durchgebracht.
Sie war geschickt in Vielerlei.
Trotzdem hat sie oft getanzt, gelacht.
Eines schönen Abends bracht sie einen
Mandolinenspieler heim.

Der war jung und unstet, ihr Geschmack
Aus dem zerbombten Essen/Ruhr.
Was dort stehn blieb wurde abgewrackt,
So auch sein Friseursalon in Steele
Mit nem Kuckuck auf der Uhr.

Kinder, Kalamitäten, Heimweh.
Ein Neuanfang im Sauerland.
Auf der Landschaft lag im Winter Schnee - 
Weit weg das traute Riesengebirge
Und mit niemandem verwandt.

Als Ruth starb, da war sie hoch betagt
Zu einer Zeit, die war ein Witz:
Leichenschmaus behördlich untersagt
Wegen der Gefahr von Inzidenz.
Gott sei Dank, die Kinder haben was kredenzt.

* 19.12.1923 +26.04.2021

A.R.
10.09.21
 
 


Schröpfer

Von Johann Georg Schröpfer
War ich einst der Ober.
In Leipzig im Kaffeehaus
Gab es Zunder und Zinnober.
Der Wirt war Zauberer und Okkultist,
Wie keiner sonst im Land gewesen ist.

Ich kannt` ihn noch von Nürnberg
Aus der Breiten Gasse.
Sein Vadder war schon Gastwirt
Mit dem Ende in der Gosse.
Sein Sohn war ein Hallodri vor dem Herrn.
Er ging nur kurz auf, dann fiel sein Stern.

Sein Freund war Apotheker
Johann Heinrich Lincke.
Der mischte ihm das Pulver,
Dem Spektakel seine Schminke,
Damit in Qualm und Spiegeln keiner sah
Das Wirken der Laterna Magica.

Sein Ruhm macht' mich zum Mundschenk
Ja, für Prinzen, Grafen
Und Schröpfer wußte sie
Als Logenbrüder zu entlarven,
Sodass ihr Meister drauf sann, wie man den Mann,
Der Tote beschwört, zum Schweigen bringen kann.

Der Herzog Carl von Curland
Ließ ihn inhaftieren.
Mein Herr war grad im Garten
Mit dem Lincke zum Spazieren.
Der Stadtrat half ihm aus der Patsche raus.
Da lud der Herzog Schröpfer in sein Haus.

Dort ist dem Gaukler Schröpfer
Wohl sein Meisterstück gelungen.
Mit einer Geisterscheinung
Hat er dessen Hof bezwungen.
Der gab ihm Taler haufenweis auf ein Papier,
Das nur im Geiste existiert.

Doch wie der Schwindel aufflog
Lockten die Geprellten
Den Schalk in Leipzigs Auen,
Um die Sache zu vergelten.
Ein Schuß zerfetzt' ihm das Gesicht.
Die Untersuchung bracht' kein Licht.

Die so genannten Zeugen
Von der Loge der Minerva
Beschworen, dass der Meister
Seiner Sinne nicht mehr Herr war,
Sich selbst erschoß im Auenwald,
Um aufzuerstehen alsbald.

27.8.21
A.R.

Ränke

Als die Fürsten noch gewaltig waren
Sich eine Schneise durch den Dschungel zu bahnen,
Durch das Dickicht ihrer Städte,
Lebte, herrschte Philipp von Hessen,
Urplötzlich verliebt in Margarete
Und wollt' sie nicht wie üblich als Mätresse.

Mit Gemahlin Christin' von Sachsen
Verging ihm gänzlich die Lust zu schnackseln,
Doch er war nunmal gebunden.
Offen, grob und kindlich von Seele,
Mußt' er das vor Luther bekunden.
Er bat um Ablaß und das als Evangele.

Luther aber schwelgte in den Wonnen
Mit seiner Käthe, einer entfleuchten Nonne:
Nippend aus den Fässern 
Besten Weins von Philipp von Hessen
Schrieb der zurück: Mein Freund, ich sehe
Dich zweifach, nichts spricht gegen eine Doppelehe.

Geistlich also war das Ding gelaufen,
Melander, der Prediger vom Hof, vollzog die Trauung.
Christin' ließ sich erweichen,
Sie erschien zum Hochzeitsmahle.
Philipp faselte vom Graf von Gleichen,
Doch sagenhaft liefs nicht trotz Margarete von der Saale.

Gegen Philipp spielt nun alle Trümpfe
Der Kaiser und Kathole Karl der Fünfte.

"Vordem in Schmalkalden
Hast Du gegen mich den Bund gehalten.
Vor mir verheimlicht wurdst Du Bigamist,
Was gegen die Gesetze ist.
Wohlan, Du kennst Dich aus mit List.
Drum bleib im Bund als mein Spion
Und diene heimlich meinem Thron."

So hat Philipp, ein Mann der offnen Karten,
Seine Brüder hinterrücks verraten.

A.R.
23.07.21